ME/CFS und Long Covid
Long Covid bezieht sich auf die langanhaltenden Symptome, die einige Menschen nach einer Covid-19-Infektion entwickeln. Diese Symptome können auch Monate nach der Genesung anhalten und umfassen Müdigkeit, Atemprobleme und Konzentrationsstörungen.
ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) ist eine komplexe und oft schwer zu diagnostizierende Krankheit, die durch anhaltende Erschöpfung, Muskelschmerzen und andere Symptome gekennzeichnet ist.
Obwohl beide Erkrankungen langanhaltende Symptome verursachen, gibt es Unterschiede in den Ursachen und Diagnosekriterien. Während Long Covid eine direkte Folge der Covid-19-Infektion ist, ist die Ursache von ME/CFS oft nicht einfach bestimmbar. Darüber hinaus gibt es Unterschiede in den Behandlungsmöglichkeiten.
Besonders Betroffene von ME/CFS sind mit einem Mangel an Verständnis und Unterstützung konfrontiert sowie einer langwierigen Suche nach geeigneten Behandlungsmöglichkeiten.
Das Erkrankungsbild ME/CFS ist durch die COVID 19-Pandemie verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt, da die für ME/CFS charakteristischen Symptome nach Angabe der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS e.V. von einem bedeutsamen Teil der Long-COVID-Erkrankten berichtet werden. Mehrere Studien deuten darauf hin, dass nach einem halben Jahr Erkrankungsdauer circa die Hälfte der Long-COVID-Betroffenen die Diagnosekriterien für ME/CFS erfüllt.
Ein wichtiger Schritt für die verbesserte strukturierte Versorgung von Betroffenen sowohl von an Long Covid als auch von an ME/CFS-Erkrankten ist die Long-Covid-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses. Die Richtlinie ist am 09. Mai 2024 in Kraft getreten und soll eine schnellere und bedarfsgerechte Versorgung von Long Covid- als auch ME/CFS-Erkrankten gewährleisten. Es bleibt abzuwarten, wie schnell diese Richtlinie in der Versorgung greift. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband müssen innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten der Richtlinie die notwendigen Regelungen zur Vergütung der ärztlichen Leistungen vereinbaren.
Gerade ME/CFS-Erkrankte werden derzeit häufig mit ihrer Erkrankung allein gelassen, da es immer wieder an Wissen und Verständnis für eine zielgerichtete Diagnostik fehlt. Durch die Schwere der Erkrankung sind Betroffene oder deren Angehörige dazu vor die Herausforderung gestellt, notwendige Hilfen von der gesetzlichen Krankenversicherung, aber auch von Rehabilitationsträgern, der Pflegeversicherung oder den Versorgungsämtern mühsam einfordern zu müssen. Dies betrifft insbesondere:
das Finden geeigneter ärztlicher Ansprechpartner*innen
die Durchsetzung von Ansprüchen auf Übernahme von Behandlungskosten gegenüber der Krankenkasse
die Beantragung von Heil- und Hilfsmitteln
die Gewährung eines Grades der Behinderung (GdB)
die Einstufung in einen Pflegegrad
die Übernahme von Fahrtkosten zur ärztlichen Behandlung
Einschätzung der Erwerbsminderung oder Erwerbsunfähigkeit.
Ein großes Problem ist dazu die derzeit noch unzureichende Forschung über adäquate Behandlungsmöglichkeiten von ME/CFS. Bislang gibt es keine eigenständige deutsche medizinische Leitlinie hoher Evidenzklasse zur Diagnostik und Behandlung von ME/CFS. Ende 2022 wurde zumindest in der S3-Leitlinie der AWMF zum Thema "Müdigkeit" ME/CFS in einem eigenen Kapitel aufgenommen. Die Leitlinie kann unter https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/053-002 abgerufen werden.
Zu erwähnen ist auch die S1-Leitlinie Long/ Post-COVID, die am 30. Mai 2024 veröffentlicht wurde.
Hilfe finden Betroffene und deren Angehörige auch in Selbsthilfegruppen und Patientenorganisationen, die einen Austausch und eine Vernetzung ermöglichen.
Rechtsprechung
Zu den unterschiedlichen Rechtsfragen, die sich aus der Versorgung von Betroffenen ergeben, sind bislang nur wenige gerichtliche Entscheidungen ergangen. Diese weisen derzeit oft keine einheitliche Linie auf. Dazu ist zu beachten, dass gerichtlichen Entscheidungen immer ein Einzelfall zugrunde liegt. Es kommt daher gerade bei der rechtlichen Bewertung von Ansprüchen aufgrund einer ME/CFS-Erkrankung oder Long Covid-Erkrankung auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an.
Die nachfolgende Liste gibt einen Überblick über die ME/CFS- und Long Covid-relevanten Gerichtsentscheidungen und wird laufend aktualisiert:
SG München (48. Kammer), Urteil vom 23.10.2024 – S 48 VJ 31/23
Kein wissenschaftlicher Nachweis eines (generellen) ursächlichen Zusammenhangs zwischen mRNA-Impfungen gegen COVID-19 und der Entstehung einer myalgischen Enzephalomyelitis/chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS)
LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.08.2024 – L 10 KR 894/22
Kein Anspruch auf Kostenübernahme einer „CFS-spezifischen Therapie“ durch die gesetzlichen Krankenkassen
SG Mannheim, Urteil vom 22.05.2024 – S 9 SO 1473/23
Kein Anspruch auf einen speziellen Sportrollstuhl (WCMX) für einen ME/CFS-Erkrankten
BSG, Beschluss vom 28.12.2023 – B 1 KR 5/23 B
Kein Anspruch auf Erstattung von Fahrtkosten bei Inanspruchnahme von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation eines ME/CFS-Erkrankten
LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.12.2023 – L 2 R 1756/23
Funktionsbeeinträchtigung als notwendige Anspruchsvoraussetzung von Erwerbsminderungsrente bei einer Long Covid-Diagnose
OLG Hamm, Urteil vom 25.08.2023 - 20 U 371/22
Maßstäbe zur Feststellung der Berufsunfähigkeit bei chronischem Fatigue-Syndrom: Keine objektive Unmöglichkeit der Berufsausübung notwendig, sondern medizinische Unzumutbarkeit der Tätigkeit
SG Landshut, Beschluss vom 19.06.2023 - S 10 KR 150/23 ER
Wertungsmäßige Vergleichbarkeit der Folgen einer Long-Covid-Erkrankung mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung
Bejahung Kostenübernahme für ambulante Apheresetherapie (Doppelfiltrationsplasmapherese)
SG Konstanz, Urteil vom 08.02.2023 – S 1 U 1682/23
Aktueller Stand medizinischer Erkenntnisse als Maßstab zur Bewertung der haftungsbegründenden Kausalität einer Long Covid-Erkrankung als Grund von Berufsunfähigkeit
SG Augsburg, Beschluss vom 15.12.2022 – S 2 KR 356/22 ER
CFS als eine einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung wertungsmäßig vergleichbare Krankheit gem.
§ 2 Abs. 1a SGB VBejahung Kostenübernahme für eine vorläufige Versorgung mit einer Immunadsorptionstherapie
LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14.10.2022 – L 4 KR 373/22 B ER
Bejahung Kostenübernahme für das Arzneimittel Dekristol bei CFS-Erkrankung
LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29.09.2022 – L 4 KR 230/22 B ER
CFS als eine einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung wertungsmäßig vergleichbare Krankheit gem. § 2 Abs. 1a SGB V
Bejahung eines Anspruchs auf Versorgung mit Biomo-Lipon als Alternativbehandlung bei Fehlen einer Standardtherapie
SG Augsburg, Urteil vom 03.05.2022 – S 3 KR 397/21
Kein Anspruch auf Behandlung von Long-Covid mit einer hyperbaren Sauerstofftherapie
(bestätigt durch LSG Bayern, Urteil vom 10.08.2022- L 12 KR 251/22 und BSG, Beschluss vom 22.11.2022 – B 1 KR 82/22 B)
LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 28.04.2022 - L 10 SB 50/19
Einordnung von ME/CFS nach versorgungsmedizinischen Grundsätzen
Ablehnung der Schwerbehinderung im konkreten Klagefall
LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 31.08.2020 – L 16/4 KR 428/18
Kein Anspruch auf Versorgung mit Vitamin C und Glutathion zu Lasten der GKV
LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19.08.2020 – L 4 KR 482/19
Vertragsärztliche Verordnung zwingende Voraussetzung für Anspruch auf Heilmittelversorgung
Heilmittel nur dann verordnungsfähig, wenn therapeutischer Nutzen durch den G-BA anerkannt
Kein Anspruch auf Kostenübernahme einer Feldenkrais-Therapie
LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19.08.2020 – L 4 KR 470/19
Kein Anspruch auf Kostenübernahme durch die Krankenkasse für Behandlung in Naturheilzentren
Keine Kostenübernahme für selbst beschaffte Infusionstherapie bei ME/CFS
:::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::
(Stand 08. Oktober 2024)
Rechtsanwalt Christian Nobmann
Kanzlei für Medizin- und Krankenversicherungsrecht
Sigismundkorso 34
13465 Berlin
030 74694981
kanzlei@nobmann.de